Psychologische Erklärungsmodelle und Konsequenzen für den Grundschulallltag betroffener Kinder mit Asperger-Syndrom


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Folgen für die pädagogische Praxis

Es ist anzunehmen, dass die auftretende Symptomatik Folgen für die pädagogische Praxis mit sich bringt. Lehrkräfte müssen demnach mit den Einschränkungen in der Informationsverarbeitung des Betreffenden vertraut sein, um ihn individuell pädagogisch fördern zu können, denndie Art und Weise, wie ein Mensch seine Welt wahrnimmt und die erhaltenen Informationen verarbeitet, bestimmt seinen Lernstil. Wenn wir also Informationen vermitteln […] wollen, sollten wir beachten, in welcher Art und unter welchen Bedingungen Informationen am besten ankommen und am leichtesten verarbeitet werden. Entsprechend gilt es zu berücksichtigen, in wie weit der kognitive Stil das Lernverhalten beeinträchtigt, beziehungsweise das Lernen erschwert.“ (Häußler 2015, S.35)

Übersicht:

- Erschwernisse beim Lernen

- Konsequenzen für den Grundschulalltag 


Erschwernisse beim Lernen

Es gilt zu betonen, dass die Erschwernisse beim Lernen stets individuell und unterschiedlich ausgeprägt sein können. Die folgenden Informationen sollen trotzdem einen Überblick über viele charakteristischen Schwierigkeiten oder typische Reaktionen, die Kindern mit Autismus das Lernen erschweren, geben.
Kindern mit Asperger-Syndrom fallen die Verarbeitung sprachlicher Informationen oft schwer, aus diesem Grund beachten sie sprachbegleitende Hinweise wie Mimik und Gestik nicht. Es ist davon auszugehen, dass dies in der Schule zu Schwierigkeiten führen kann, falls die Lehrkraft nicht um die Schwierigkeiten der Betroffenen unterrichtet ist. Weiß sie jedoch um die besondere Beeinträchtigungen, so kann sie auf eine andere Art und Weise pädagogisch intervenieren, sodass die Möglichkeit für die Betroffenen besteht, die sprachliche Information andersartig zu begreifen. Es wird deutlich, dass Kinder mit Asperger-Syndrom ein zusätzliches Sprachrohr benötigen, um beispielsweise die geforderten Aufgabenstellungen der Lehrkräfte begreifen und bearbeiten zu können. Des Weiteren ist zu beobachten, dass Betroffene sprachliche Hinweise viel eher vergessen, deshalb müssen sie durch schriftliche oder bildliche Hinweise immer wieder an ihre Aufgabe erinnert werden.
Weitere Schwierigkeiten zeigen sich bei verzögerten Reaktionen, da Betroffene eine längere Verarbeitungszeit benötigen. Es zeigt sich außerdem, dass es ihnen schwer fällt und sie sich leicht überfordert fühlen, wenn sie Entscheidungen treffen sollen, die auf einer Einschätzung beruhen. Die Affinität an starren, sich nicht verändernden Stereotypen festzuhalten, wird besonders in solchen Situationen deutlich. Anstatt selbst eine Entscheidung zu treffen, fällt ihnen das Befolgen konkreter Regeln erheblich leichter.
Betroffene haben außerdem Probleme mit der Generalisierung, sie können also das, was sie in einem bestimmten Zusammenhang lernen, nicht unbedingt auf andere Zusammenhänge übertragen. Grund hierfür ist eine Einschränkung in der Beurteilung, welche Merkmale wesentlich und welche unwesentlich sind. Es wird deutlich, dass Parallelen zu dem psychologischen Erklärungsmodell der zentralen Kohärenz zu finden sind, welche besagen, dass Menschen mit Autismus eher Einzelheiten wahrnehmen, anstatt das „große Ganze“ zu erkennen. Lehrkräfte können folglich prinzipiell nicht davon ausgehen, dass Kinder mit Asperger-Syndrom aus Erfahrungen lernen. Sie benötigen in einigen Situationen Hilfe, Parallelen zwischen der bereits vergangenen und der für sie neuen Situation ziehen zu können.
Ähnliche Schwierigkeiten für Kinder mit Asperger-Syndrom zeigen sich bei der zeitlichen Organisation. Da Betroffene Probleme mit dem Arbeitsspeicher haben, können sie leichter in der Ausführung von bestimmten Arbeitsaufgaben durcheinander kommen. Des Weiteren kommt hinzu, dass es vielen Betroffenen schwer fällt, sich selbst Zeit einzuteilen, da sie über nur über ein wenig entwickeltes Zeitgefühl verfügen.
Ebenso beeinträchtigt ist die räumliche Organisation, da Betreffende vermehrt auf Einzelheiten konzentriert sind, anstatt einen Zusammenhang zu sehen.
Ebenfalls typisch für Kinder mit Asperger-Syndrom ist eine hohe Ablenkbarkeit während des Unterrichts, welche die Aufnahme wichtiger Informationen und ein kontinuierliches Arbeiten maßgeblich erschwert. Es besteht pädagogischer Handlungsbedarf durch die Lehrkräfte, damit Betroffene befähigt werden, ihre Aufgaben gewissenhaft durchführen zu können. Es gilt, ablenkbare bzw. störende Reize zu eliminieren, sofern dies möglich ist. 
Durch die eingeschränkte Aufmerksamkeit bzw. hohe Ablenkbarkeit kommt es zu einer Überforderung bei der Durchführung komplexer Handlungen. Grund dafür ist die Schwierigkeit, mehrere Aspekte gleichzeitig zu beachten. Betroffene haben große Probleme erneut in das Thema hineinzufinden, wenn sie kurzzeitig etwas anderes gemacht oder z.B. an etwas anderes gedacht haben.
Bei Kindern mit Asperger-Syndrom, aber auch bei nicht-autistischen Kindern, ist außerdem eine Tendenz zu einem eher unausgeglichenem Entwicklungs- und Fähigkeitsprofil zu beobachten, dies zeigt sich vor allem in Interessen oder Neigungen in bestimmten Schulfächern. Einige Fächer im Schulunterricht fallen Betroffenen leicht, andere verlaufen eher schwerfällig. Auffällig ist jedoch, dass die Kompetenzen eines autistischen Kindes viel weiter auseinanderklaffen als bei nicht-autistischen Kindern. Hier ist abermals die Profession der Lehrkräfte gefragt, die bestehende Symptomatik zu erkennen und ebenfalls bewusst als Beeinträchtigung zu identifizieren, denn es besteht Handlungsbedarf zugunsten der betroffenen Kinder.
Eine weitere Besonderheit bei genannter Zielgruppe besteht aufgrund ihrer Beeinträchtigung in der Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung sozialer Reize und Situationen. Sie benötigen individuelle Motivationsstrategien, da sie Lob und Motivation über Gestik und Mimik in vielen Fällen nicht begreifen können. Der Bezug zu den psychologischen Erklärungsmodellen wird erneut deutlich, denn laut der Affektiv-sozialen Störung haben Kinder mit Asperger-Syndrom Schwierigkeiten, Mimik und Gestik zuzuordnen. Es wäre demnach möglich, dass sie das Lächeln der Lehrkraft nicht als stummes Lob auffassen, sondern etwas anderes in das Lächeln hineininterpretieren könnten.
Des Weiteren zeigen viele Kinder wenig Neugierde und ein niedriges Maß an Eigeninitiative. Aufgrund dessen neigen sie dazu, ohne fremde Anleitung, im Vergleich zu nicht-autistischen Gleichaltrigen, weniger Lernerfahrungen zu machen und sich weniger allein beschäftigen zu können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Handlungsbedarf aufgrund der Beeinträchtigung in den unterschiedlichen Bereichen für Kinder mit Asperger-Syndrom in einer Regelschule besteht. Zu erwähnen ist außerdem, dass die Möglichkeit besteht, dass bei einigen Kindern kaum oder nur wenig Beeinträchtigungen in den genannten Bereichen auftreten. Die jeweilige Symptomatik ist individuell und ebenfalls von der Stärke der Ausprägung des Störungsbilds abhängig.

Konsequenzen für den Grundschulalltag

Durch die zuvor beschriebenen Beeinträchtigungen von Betreffenden wird deutlich, warum bei Kindern mit Asperger-Syndrom oft anders pädagogisch gearbeitet werden muss als bei nicht-autistischen Kindern. Es gilt das übliche pädagogische Konzept in Grundschulen zu überdenken und den betroffenen Kindern individuell anzupassen. In diesem Fall steigen ebenfalls die Anforderungen an die Lehrkräfte, denn sie müssen in ihrer pädagogischen Arbeit die Beeinträchtigungen beachten und Betreffende individuell fördern und fordern. Ein wichtiger Aspekt liegt in der Berücksichtigung der Generalisierungsschwierigkeiten. Wie bereits erwähnt, fällt es Betroffenen schwer, bereits Erlerntes auf neue, für sie unbekannte Situationen zu beziehen. Lehrkräfte müssen dies als Beeinträchtigung wahrnehmen und ihre persönlichen Erwartungen an den Betreffonen anpassen und ggf. modifizieren. Tun sie dies nicht, so werden sie den betroffenen Kindern (unbewusst) das Gefühl vermitteln, dass die geforderten Erwartungen nicht erfüllt werden. Aus diesem Grund müssen kleinschrittige Lernleistungen anerkannt und die Kinder angeleitet werden, das bereits Erlernte auf neue Situationen zu beziehen.
Ein weiteres Aufgabenfeld der Lehrkräfte liegt in der Förderung der Flexibilität. Die vorhandenen Pläne, die Sicherheit und einen Rahmen zur Orientierung bieten, müssen zugunsten von Übungen zur Flexibilität in gewissen Fällen weichen, denn es gilt die Kinder auf einen Schulalltag vorzubereiten, in dem es stets zu Veränderungen kommen kann.
Außerdem sollen Betreffende befähigt werden, ihre Beschäftigungen z.B. in der Freiarbeitszeit selbst auszuwählen, denn Pausen sind für autistische Kinder häufig um vieles anstrengender als die Teilnahme an für sie geplanten Aktivitäten oder das Ausführen vorgegebener Arbeiten. Ziel ist es also Strategien und Fähigkeiten zu vermitteln, wie sie ihre freie Zeit selbst gestalten können.
Als ebenfalls unerlässlich im Schulalltag gelten konkrete und klar formulierte Regeln, da sie gerade für Kinder mit Asperger-Syndrom eine Entscheidungssituation erleichtern. Um die Betroffenen immer wieder an die vorhandenen Klassenregeln zu erinnern, sollten diese sichtbar und klar leserlich für alle an einer Wand angebracht werden. Es hat sich im Umgang mit Kindern mit Asperger-Syndrom als erfolgreich erwiesen, dass sie Visualisierungen besser als verbale Sprache annehmen können. Ähnlich verläuft es mit Instruktionen bestimmter Aufgaben. An dieser Stelle können Visualisierungen die gesprochene Sprache unterstützen und ggf. als Erinnerungshilfe eingesetzt werden, um die Konzentration weiterhin auf die Aufgabe zu lenken.
Bezogen auf die Motivation zeigt sich, dass Lehrkräfte diese bei ihren betroffenen SchülerInnen erheblich steigern können, wenn sie die Spezialinteressen in die Aufgaben einfließen lassen. Dies kann z.B in Form eines Verstärkerplans mit dem Lieblingstier eingesetzt werden.
Durch Forschungen ist bekannt, dass Kinder mit Asperger-Syndrom klare Strukturen und überschaubare Situationen bevorzugen, da sie Sicherheit und Orientierung bieten. Die bewusste Strukturierung derartiger Situationen kann ebenfalls dafür genutzt werden, das Situations- und Aufgabenverständnis zu optimieren. Lehrkräften gelingt dies, indem sie konkrete und positive Aufforderungen formulieren, sodass das Kind genau weiß, was erwartet wird.
Klare zeitliche sowie örtliche Angaben helfen bei Verständnisfragen. Außerdem ist es wichtig, dass Lehrkräfte zur Vermeidung der Verwirrung doppeldeutige oder ironische Aussagen unterlassen.
Schlussendlich profitieren Kinder mit Asperger-Syndrom von einer klar strukturierten (Lern-)Umwelt mit passendem Material. Es gilt, beeinträchtigende oder ablenkbare Reize zu reduzieren und gleichzeitig die Aspekte hervorzuheben, auf die es ankommt.
Es lässt sich also feststellen, dass Betroffene sowie Lehrkräfte und MitschülerInnen an bestimmte Anforderungen im Regelschulbereich gestellt werden. Es gilt zu überlegen, ob durch bestimmte Programme eine individuelle Förderung von Kindern mit Asperger-Syndrom ermöglicht werden kann, sodass sie weiterhin die Regelschule besuchen können. Im Zuge der neu bestehenden Inklusionsverhältnisse sollte es die Aufgabe der Schulen sein, sich um geeignete pädagogische Programme zu bemühen, um Betreffende individuell fördern und unterstützen zu können.