EinfÜhrung-NDL
Die Antworten oder Kommentare sind eher knapp  formuliert und können in diesem Forum nicht erschöpfend sein, fassen aber die  wichtigsten Stichworte zusammen. Das genauere Nachforschen ersetzen sie nicht! 
          Die Fassung wird periodisch durchgesehen und aktualisiert (auch was die  digitalisierten Wort-, Musik- oder Bildbeiträge angeht). 
          Arbeitsaufgaben  
          Kap. 2.3  
          1. Welche Antworten hatte die deutschsprachige  Literatur auf die Ereignisse der Französischen Revolution? 
Die folgenreichste Reaktion war die von Goethe und Schiller, aber auch anderen  Autoren in ihrem Umfeld, entgegen der vorherrschenden Tagespolitik der  Französischen Revolution mit ihren negativen Begleiterscheinungen auf eine  ‚sanfte’ Evolution des Individuums und der Gesellschaft durch Kunst zu setzen  (Ausbildung des ‚ganzen Menschen’, Kultivierung der Einbildungskraft und des  Verstandes, schließlich Autonomie des Kunstwerks). Es gab aber auch politisch  engagierte Reaktionen im Sinne der Revolution bzw. Parteinahmen für die  Jakobiner (Schubart, Forster). Eine Zwischenposition nahmen etwa Hölderlin  (Versöhnung von individuellem Anspruch und überindividuellem Geschehen in  Themengestaltung von Natur, Geist, Gott, Gesellschaft) oder Jean Paul ein, der  im napoleonischen Gesetzeswerk des Code Civil eine Chance sah,  elementare humane Rechte zu sichern und Bildungsideen im Blick auf eine  ganzheitliche Persönlichkeit politisch umzusetzen. Damit sind auch  grundsätzlich zwei Optionen für das Literatursystem benannt – als Orientierung  auf das Kunstsystem selbst (Selbstreflexion und Autonomie) oder auf die Umwelt  (Politik, Soziales, aber auch andere Wissensgebiete wi26.04.2012). 
2. Benennen und erläutern Sie die Leitbegriffe, die  die Romantik für die moderne Ästhetik gegeben hat!  
- Einbildungskraft und nicht selten übersteigerte Subjektivität, die zunehmend gegen die äußere Welt und damit auch gegen Mimesis-Konzepte gestellt wird.
- Autonomie: „Poesie ist Poesie“ behauptet Novalis mit einer tautologischen Formel, um damit Dichtung (und allgemein Kunst) gegen Ansprüche anderer Systeme abzugrenzen: Kunst soll sich selbst die Gesetze geben, nicht durch andere Wertsphären beziehen (Moral, Pädagogik, Ökonomie, Wissenschaften etc.).
- Selbstreferenz: In je verschiedener Weise sind Kunstwerke in der Lage, über sich selbst bzw. ihre Entstehung zu reflektieren und ihre Konstruktion offenzulegen. Dies kann programmatisch in Künstleräußerungen, aber auch durch auffällige Formenverwendung im Kunstwerk selbst geschehen.
- Progressive Universalpoesie: Insbesondere F. Schlegel strebt eine Mischung von kunst- und naturinspirierten Prosaformen an, die dann zusammenwirken und aus Poesie, Prosa, Philosophie, oder Rhetorik Mischformen bilden sollen. Beteiligt ist an diesem Kunstwerk im Prozess nicht nur der Autor, sondern im sympraktischen Verhältnis zu ihm auch der Leser, der nicht nur passiv rezipieren, sondern auf konstruktive Weise lesen und idealerweise das Kunstwerk weiterschreiben soll.
- Fragment: Ganzheiten werden bezweifelt, die romantische Moderne ist von der Brüchigkeit des Daseins und auch der Kunstformen überzeugt. Die Verbindung von Teil und Ganzem scheint nicht mehr gegeben, das Einzelne scheint vom Allgemeinen getrennt. Nicht das abgeschlossene Werk, sondern das ständige Fortschreiben wird zum Ziel, wodurch eine Reihe offener Formen (Aphorismen, Essays oder im Roman) oder gemischter Gattungen hervorgebracht werden, die als Gegenpol zur klassizistischen Ganzheit verstanden werden. Diese Haltung wird begleitet von der romantischen Ironie, die selbstbezweifelnd und humorvoll eigene Tendenzen zur Ganzheitsbildung auflöst.
- Gesamtkunstwerk: Lebensformen können 24.08.2007ve (Ehe zu viert). Die Rolle der Frau wi24.08.2007l>
3. Die  ‚Kunstreligion’ der Romantik gerät zunehmend in Gegensatz zu den gesellschaftlichen  Wirklichkeiten (vgl. etwa: ‚Poesie des Herzens’ vs. ‚Prosa der Verhältnisse’).  Skizzieren Sie diese! 
          Die ‚Poesie des Herzens’ als Hegelscher Inbegriff der Subjektivität steht in  Opposition zur ‚Prosa der Verhältnisse’, die sich als gesellschaftliche  Zustände wie folgt skizzieren lassen: 
- 
              Revolutionsunruhen, Wirren nach den Napoleonischen Eroberungskriegen, zugleich politische Reformen. 
- 
              Erste Phase der Industrialisierung, langsam zunehmende Maschinisierung der Arbeitswelt, technische Erfindungen, die Eisenbahn beschleunigt das Lebenstempo. 
- 
              Restauration der politischen Bedingungen nach dem Wiener Kongress, faktisch dadurch Unterdrückung, Zensur. 
- 
              Zunehmende Ausdifferenzierung der Lebensbereiche und Berufswelten; konfligierende Ansprüche des beruflichen und gesellschaftlichen Lebens motiviert eine Flucht ins Idyllische. 
4. In welchen  Punkten unterscheidet sich der poetische Realismus von der Fotografie? 
          Von einer deutlichen Medienkonkurrenz motiviert, lautete der Vorwurf der  poetischen Realisten gegen die Fotografen, diese würden nur oberflächlich das  Sichtbare der Dinge kopieren, ohne an deren Wesentliches oder Inneres zu  rühren. Fotografie sei wahllos, zufällig (kontingent) und gehe ohne jede  ästhetische Motivation vor. Sie können keinen Zusammenhang stiften, isoliere  die Dinge und mortifiziere sie zum Stillleben, Literatur hingegen könne diese  lebendig ausgestalten und überformen. Das Mimesis-Verständnis der Literatur ist  hier gerade nicht fotografisch, sondern konstruktiv-überformend verstanden. 
  5. In welcher  Strömung wird ausdrücklich die soziale Umwelt zum Thema – und welches sind die  Grundsätze, unter denen man sie darstellen will? 
          Die politische Welt in einem allgemeineren Sinn wird bereits im Jungen  Deutschland thematisiert, mit deutlichen Wendungen ins Sozialpolitische  besonders bei Georg Büchner, der in den 1880er Jahren wiederum vorbildlich für  die Naturalisten wird, bei denen die soziale Frage in den Mittelpunkt gerät.  Deren Konzept lässt sich wie folgt angeben: 
- 
              wissenschaftlich-empirisches Selbstverständnis, Aufzeichnung von ‚Fakten’, die auf ihre Gesetzmäßigkeit hin untersucht werden; 
- 
              Aufweis der Determination des Individuums durch das Milieu; 
- 
              Nähe zur fotografischen (auch fonografischen) Detailaufzeichnung, um Großstadtrealitäten ungeschminkt und möglichst detailgetreu darzustellen (A. Holz: „Kunst = Natur – x“): 
- 
              Sprachregister werden erweitert: Soziolekt, Dialekt, Fachsprache, Imitation der situationellen gesprochenen Sprache, spontane Rede. 
6. Gibt es  einen Zusammenhang der Lebensbedingungen um 1900 und der teilweise radikalen  Wendung der Literatur auf sich selbst (Ästhetizismus, Symbolismus)? 
          Die zweite Phase der Industrialisierung ist abgeschlossen (Landflucht, starkes  Wachstum der Großstädte), technische Erfindungen (Fonograf, Telefon,  Fotografie, Kino, Röntgenstrahlung) prägen das Alltagsleben, das auch durch  Verkehrsmittel zunehmend beschleunigt wird. Der Soziologe Georg Simmel hat dies  zusammengefasst mit der Wendung von der „Steigerung des Nervenlebens“, die eine  großstädtische Lebensbedingung ist, mit Chancen (Anregungen für die  künstlerische Wahrnehmung) und Risiken (Versachlichung der Verhältnisse,  Fremdsein, Ich-Dissoziation), die auch durch den Geldverkehr der Städte und  neue Beschäftigungsverhältnisse aufgebracht werden. Der Druck dieser  Lebensverhältnisse hat in den Künsten auf verschiedene Weise einen  antimimetischen Impuls bewirkt: Einige Autoren ziehen die Sprache ganz aus dem  Wirklichkeitsbezug ab und richten sie auf sich selbst, sie experimentieren mit  Sprachzeichen, die aus ihren gewohnten Zusammenhängen gerissen und in neue  Kontexte überführt werden. Die Sprachskepsis, die einige Autoren kultivieren,  wird dann zur Suche nach einer neuen Sprache, aus der Kunstwelt heraus sollen  dann neue Perspektiven auf die Wirklichkeit gegeben werden. 
  7. Arbeiten Sie  an wichtigen Gedichten des Expressionismus (Gottfried Benn: Kleine Aster,  Georg Heym: Gott der Stadt, Ernst Stadler: Fahrt über die Kölner  Rheinbrücke bei Nacht) Stilmittel heraus, mit den Autoren das moderne Leben  darstellen!  
- 
              Benn: ‚Sektionslyrik’ – Sektion menschlicher Organe als Thema, aber auch Schnitt durch die Zeilen und Bilder, Umwertung aller Werte, Verdinglichung des toten Menschen, Personifikation von Dingen (Aster), Ästhetik des Hässlichen. 
- 
              Heym: Mythologeme (Baal, Korybanten/Priester versinnbildlichen die Dynamik des Stadtlebens; regelmäßige Form des Gedichts (fünfhebige Jamben in vierzeiligen Strophen) steht komplementär zum chaotischen Inhalt. 
- 
              Stadler: Reihungsstil, Wahrnehmungsprotokoll der Assoziationen und Einzelbilder, die übersteigert werden – auch durch Sattzeichen (Ausrufezeichen, auch Auslassungspunkte werden gestuell aufgeladen, haben weniger grammatische Aufgaben. 
Kap. 2.4  
            1. Was  bedeutet Robert Musils Begriff des ‚Möglichkeitssinns’, auch mit Blick auf die  Postmoderne? Anhaltspunkte finden Sie in Kap. 4 und 5 von Musils Mann ohne  Eigenschaften. 
          Es geht um die Wahlfreiheit der Perspektiven, durch die hindurch man die Welt  wahrnimmt, also Versionen, die die eigene Weltsicht ausmachen und die nicht  durch objektive Maßstäbe vorgegeben, sondern durch die subjektive Ansicht  gewonnen sind. Wenn bereits Musils ‚Törleß’ äußert, man könne die Dinge bald von  dieser, bald von jener Seite ansehen, so wird im Mann ohne Eigenschaften vollends  die Relativität der Wahrnehmung deutlich gemacht, woraus dann auch Lebenstile  (hier verbildlicht in den verschiedenen Architekturstilen) gewonnen werden  können. Die Hauptfigur des Romans, Ulrich, ist entsprechend ein äußerst  vielseitiger, nicht festgelegter Charakter – geradezu vorbildlich für die  postmoderne Forderung nach Anerkennung von Pluralität oder ‚anything goes’.  Damit werden Vorstellungen von abgeschlossenen Weltbildern wie auch einer  abgeschlossenen personalen Identität verabschiedet: Zielgerichtete, große  Entwürfe empfindet man als Totalitäten, die Gewalt produzieren; dagegen wird  eine multiple, stets im prozess befindliche, offene Identität gefordert. 
  2. Können Sie  Textbelege für den etwas anzweifelbaren Befund einer ‚Stunde Null’ bzw. eines  ‚Kahlschlags’ in der Literatur finden? 
          Günter Eichs Gedicht Inventur (1945), Wolfgang Borcherts Drama Draußen  vor der Tür (1947) und Wolfgang Weyrauchs Prosaanthologie Tausend Gramm (1949)  sind wohl die bekanntesten Belege aus den drei Gattungen; in letzterem findet  sich der Begriff des ‚Kahlschlags’, vgl. auch Heinrich Bölls Bekenntnis zur  Trümmerliteratur (1947). Hans Werner Richter äußerte programmatisch in der  Zeitschrift Der Ruf (Jg. 1): „Das Kennzeichen unserer Zeit ist die Ruine  […] Die Ruine lebt in uns wie wir in ihr […] Um diesen Menschen zu erfassen,  bedarf es neuer Methoden der Gestaltung, neuer Stilmittel, ja einer neuen  Literatur.“ Skepsis hegt aber bereits Urs Widmer in seiner Studie von 1966, in  der er zeigt, dass die ‚neue Sprache’ ein Mythos gewesen ist und die  Sprachverstrickung tiefer reichte, als die AutorInnen es wahrhaben wollten (1945  oder die neue Sprache). 
  3. Inwiefern  ist die ‚innere Emigration’ eine problematische Haltung? 
  ‚Innere Emigration’ ist lediglich ein vages Etikett für  Veröffentlichungsabstinenz in einer Diktatur und bedeutet zunächst Indifferenz.  Ferner wird damit eine Situation der Unterdrückung suggeriert, die aber oft auf  freiwillige Anpassung hinauslief. Autoren wie Frank Thiess oder Gottfried Benn  reklamierten dies für sich, um nach 1945 mehr oder weniger aggressiv Vorwürfe  gegen die Emigranten zu formulieren. Im ‚Wendestreit’ nach 1990 tauchte der  Begriff erneut auf. 
  4. Gibt es  ästhetische Techniken, die sich vom Dadaismus bis zu Gegenwartskunst und  digitalem sampling durchziehen? 
          Der Schnitt, das Zerlegen von Ganzheiten in Teile oder Elemente sowie deren  Neuzusammensetzung bzw. Montage (gelegentlich auch Dekomposition und Rekomposition  genannt) sind basale ästhetische Strategien, die sich bis in die Musikkultur  der Gegenwart durchziehen. Vorbildlich sind dafür Erik Saties musikalische  Bausteintechnik und die Zerlegung der sichtbaren Dinge durch die Malerei des  Kubismus ebenso wie die Verwendung von Wortsplittern und Fertigteilen durch die  Dadaisten. Wichtig ist dabei auch, dass es sich um vorgefundene, also bereits  existierende Teile handelt (im größeren Maßstab ready-made, objèt trouvé), die  dann durch Zusammenfügung eine neue Qualität bekommen (sollen). 
  5. Wie  beurteilen Sie Adornos strenges Diktum, dass nach Auschwitz keine (schöne)  Lyrik mehr möglich sei? Diskutieren Sie dies am Beispiel von Paul Celans Todesfuge! 
          Adornos zunächst in Kulturkritik und Gesellschaft (1951, GS 10/1, S.  11-30) geäußertes strenges Diktum, dass nach Auschwitz keine Lyrik mehr möglich  sei, ist gegen alle Kunst gerichtet, die Schönheit oder Harmonie illusioniert  und leichthin konsumierbar ist. Nur radikale, schwarze, ins Rätsel getriebene  Kunst biete eine Möglichkeit, autonom zu bleiben – Kunstwerke sollen nicht  durch Interpretationen vereinnahmt und entschärft werden, sondern ihre  Autonomie bewahren (Ästhetische Theorie, 1970). Auch wenn Adorno seine  Festlegung später etwas variiert hat, bleibt im Kern die These: Hermetische  Texte seien besser als engagierte Texte dazu geeignet, ein Gedächtnis der  Katastrophen zu bilden, wofür unter anderem Becketts Dramen oder Celans Lyrik  angeführt werden. Die Todesfuge ist zwar weithin verständlich gefasst,  erschöpfend zu deuten sind die Bilder aber nicht, insofern sie auch  literarische und biblische Anspielungen geben, einen weiten Verweishorizont  eröffnen und zugleich immer den Blick auf die konkreten Vorgänge halten –  Abstraktion und Konkretion wirken hier zusammen. In der eingängigen, dem Gesang  nahen Fugenform wird ein eklatanter Kontrast zum Inhalt des historischen  Geschehens deutlich. Damit wird die Katastrophe eingängig vermittelt und auch  wohl der Wahrnehmungseffekt gesteigert. 
          Grundsätzlich bleibt die Frage, wie dann eine einfacher verstehbare Kunst (auch  populäre, farbenfrohe oder heitere Kunst) einzuschätzen ist und ob sie nicht  gerade aufgrund ihrer Verstehbarkeit auch wichtige Funktionen übernehmen kann.  Man sollte ihr nicht generell die Fähigkeit absprechen, dass sie zur Aufklärung  beitragen kann, wenn sie engagiert Position bezieht und obendrein vielleicht  unterhaltend ist. 
  6. Vergleichen  Sie Ernst Jandls Übe!-Variante zu Goethes Vorlagegedicht Ein Gleiches – welchen Gewinn bringen die Sprachexperimente? 
          Jandls im Kontext der Wiener Gruppe entwickelte experimentelle Poesie  ironisiert Goethes Gedicht (das zu den berühmtesten in deutscher Sprache  gezählt werden kann). Die Naturerfahrung eines sich dabei erlebenden Subjekts,  das vom alltäglichen Berufstreiben Abstand gewinnen bzw. sich in höhere  Zusammenhänge ‚einschreiben’ möchte und auf kontemplative Weise zu sich finden  will, wird von Jandl extrem verzerrt. Zerlegung in die elementaren  Lautbestandteile, Wiederholungen und Lautvariationen bringen dabei  Verfremdungseffekte mit sich, zugleich entstehen neue (alltägliche, sexuelle  usw.) Konnotationen. Insofern ist mit dem Etikett ‚Unsinnspoesie’ vorsichtig  umzugehen: Jandl hält in seiner intertextuellen Auseinandersetzung mit dem  Vorlagetext den Blick auf Goethes Gedichtbedeutungen gerichtet, doch baut er  einen starken Kontrast auf zum eigenen modernen Lebensgefühl, das mit diesen  Werten nicht mehr unbedingt vereinbar ist. Zugleich wird beim Zelebrieren der  Rezitation ein Lautgenuss möglich, der für sich selbst Gültigkeit hat. 
  7. Die meisten  ‚Wende-Romane’ sind zwar dickleibig. Dennoch: Versuchen Sie, eine  Zeitungsrezension zu Thomas Brussigs Wie es leuchtet oder Ingo Schulzes Neue  Leben zu verfassen! 
          [Eine ausführliche, professionelle Rezeption wird in Kürze hier zu finden  sein.] 
  8. Arbeiten Sie  an wenigen aus dem Internet gewählten Beispielen Stilmerkmale der weblogs bzw.  des Tagebuchschreibens heraus! 
          Die Schreibhaltungen und Stilistika sind höchst heterogen: Sie reichen von der  trivialen Alltagsnotiz, die den elektronischen Schreibweg nur zur  (potenziellen) Weiterverbreitung nutzt und ansonsten wenig formale Raffinessen  bietet, über solche Texte, die sich formal selbst reflektieren und auch  Experimente wagen (Darstellungen in Listenform, Syntaxauflösung, Essaypassagen,  vgl. Rainald Goetz: Abfall für alle, 1998/99) bis hin zu gewünschter  Interaktivität (Leser kommunizieren mit Autoren) mitsamt Möglichkeiten,  akustische und Bilddateien anzufügen. Bei einer hohen Zahl von weblogs  dominiert die Annäherung an die gesprochene Sprache bzw. an schnörkellose,  direkte Alltagssprache mit Tendenz zu Kurzsätzen. 
  Kap. 3.3  
  1. Welche  Bedeutungswandlungen hat der Katharsis-Begriff von Aristoteles über Lessing bis  Brecht durchlaufen? 
          Die medizinischen Ebenen des Katharsis-Begriffs stehen bei Aristoteles im  Zusammenhang mit der antiken Säftelehre, wonach deren ausgeglichenes Verhältnis  ein gesundheitlich-harmonisches Befinden, ein Ungleichgewicht dagegen einen  krankhaften Zustand bedeutet. Das Theater soll diesen Ausgleich erzielen, wobei  nicht klar ist, ob a) die Leidenschaften selbst reinigen, b) die Leidenschaften  gereinigt werden oder c) die Leidenschaften beseitigt werden. Alle drei  möglichen Wirkungen helfen aber dabei mit, das Theater auch zu einem  Debattenort zu machen, an dem Angelegenheiten der polis verhandelt werden.  ’Phobos’ und ‚eleos’ werden im 18. Jh. neu diskutiert, insbesondere von Lessing  wird das Leidmotiv in eine Mitleidsästhetik abgewandelt – dadurch wiederum  sollen Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten verwandelt werden. In Brechts  eher auf die rationale Diskussion zielendem epischen Theater hat die Katharsis  lediglich noch die Bedeutung eines Vergnügens, das wiederum eng an das Denken  gekoppelt ist. 
  2. Stellen Sie  ein Kurzreferat über das (spät-)mittelalterliche Fastnachtsspiel zusammen.  Welchen Quellen aus den Literaturangaben können Sie Sach- und Bildanregungen  entnehmen? 
          Günstige Quellen sind: 
          Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters.  Stuttgart 1993, Bd. 1, S. 383-285. 
          Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel. Stuttgart 1966. 
          Sowinski, Bernhard: Das Fastnachtspiel. In: Otto Knörrich (Hg.): Formen der  Literatur. Stuttgart 1991, S. 107–113. 
          Spiewok, Wolfgang: Das deutsche Fastnachtspiel. Ursprung, Funktionen, Aufführungspraxis.  Greifswald 21997. 
          Velten, Hans Rudolf: Lappen und gynöffel im Fastnachtspiel des  Spätmittelalters. Ein Beitrag zur spätmittlelalterlichen unterhaltungskultur.  In: Heinz D. Heimann/M. Langner (Hg.): Weltbilder des mittelalterlichen Menschen.  Berlin 2007, S. 124-148. 
  3. Inwiefern  führt Lessing die Theaterreform Gottscheds mit neuen Mitteln bzw. Akzenten  weiter? 
          Gottscheds Reformen zielten allgemein darauf, die seiner Ansicht nach  verwilderten Theaterformen zu kultivieren, um schließlich das Theater in eine  aufklärerisch-pädagogische Pflicht zu nehmen und damit auch das barocke  Schickssalsdrama zu überwinden. Formal blieb er dabei konservativ (fünfteiliger  Dramenaufbau, Wahrscheinlichkeitsgesetze der Handlung, regelmäßiges Versmaß,  Ständeklausel). Die Bedeutung der Tragödie wurde abgeschwächt, dagegen das  rührende oder weinerliche Lustspiel als moralisches Korrektiv favorisiert,  indem es belustigen und zugleich erbauen sollte (auch mit bürgerlichem  Personal). Lessing arbeitete weiter am Begriff des Lustspiels, gab aber vor  allem dem bürgerlichen Trauerspiel wesentliche Impulse. Dort dominiert die  Mitleidsästhetik, indem Standeskonflikte auf Kosten des Bürgertums zugespitzt  werden – eine spätere Phase der Aufklärung, mit deutlich politischen Implikationen,  die die allgemein-menschheitlichen Fragen Gottscheds wesentlich konkretisieren.  Der Traum Gottscheds eines Theaters als moralischer Anstalt wurde mit Lessings Hamburgischer  Dramaturgie reflektiert und dann auch bühnenpraktisch realisiert. 
  4. Entwerfen  Sie ein Bühnenbild und Regieanweisungen zur Schlussszene von Schillers Kabale  und Liebe! 
          Kriterien dafür lassen sich auf der ganzen Bandbreite angeben: Zwischen  klassizistischer Werktreue bzw. der Absicht einer historisierenden Inszenierung  oder, konträr dazu, einer postdramatischen Fassung, bei der ein Bühnenbild mit  abstrakten Formelementen, in karger oder zeichenhaft zugespitzter Stilistik zu  konzipieren wäre. Bitte beachten: Inszenatorische Ausfälligkeiten sind erlaubt,  sollten aber reflektiert sein und in ein Gesamtkonzept der Inszenierung passen. 
  5. Fassen  Sie in einigen Sätzen Grundgedanken und Wirkmittel von Brechts V-Effekt  zusammen! 
          [Eine beliebte Klausurfrage, da hiermit eine wesentliche Tendenz des modernen  Theaters erfasst werden kann!] Brecht hat in gut didaktischer Absicht hierzu  selbst eine Übersicht gegeben (vgl. S. 168f. im Buch), aus der als allgemeine  Überzeugungen abgeleitet werden können: 
- 
              politisch-emanzipatorisches, sozialrevolutionäres Interesse: Aufdeckung der herrschenden Standpunkte als Ideologien, die durch Analyse und Theateraufführung geändert werden können; 
- 
              anti-illusionistischer Impuls – nicht schöne Einfühlung oder passives Mitleiden soll ermöglicht werden, sondern rationale Distanznahme; die Dinge werden nicht als fertige präsentiert, sondern als im Prozess befindliche; 
- 
              V-Effekt fasst die Wirkmittel zusammen, womit zunächst allgemein die Darbietung eines bekannten Stoffes oder Sinninhaltes in neuer Fassung gemeint ist, um durch diese neue Perspektive auch ihre Relativität und Veränderbarkeit zu zeigen. Dies kann erreicht werden durch einen Erzähler, der das Stück einleitet oder begleitet, durch einen Chor, durch verfremdende Medien (Lautsprecherdurchsagen, Dia- oder Filmprojektion, Radio), durch direektes Ansprechen des Publikums oder dessen Einbeziehung (Zeitungsverkäufer laufen durch den Zuschauerraum, wodurch die Trennung von Bühne und Zuschauerraum aufgehoben wird, durch Schriftzüge auf der Bühne etc. 
6. Von der  Dramentheorie zur Schreibpraxis: Was kann alles zu einer guten journalistischen  Aufführungskritik gehören? 
          Die journalistische ‚W’-Reihe zu befolgen, reicht nicht aus, gehört aber zum  basalen Handwerk: 
          Wer, was, wann, wo, wie, warum? Genauere Perspektiven sind: 
- 
              Stückinhalt (wenn bekannt, auch knapp oder gar nicht – schlank einstreuen); 
- 
              Informationen über den Autor (je nach Bekanntheitsgrad oder Wichtigkeit für das entsprechende Schauspielhaus); 
- 
              Art der Darbietung, Bühnenbild, Effekte; 
- 
              Schauspielerleistungen (punktuell, ggf. mit einem Adjektiv); 
- 
              Lokales: Bedeutsamkeit der Inszenierung in der Kulturszene; 
- 
              Allgemeine Relevanz der Theaterarbeit, auch überregional: Gibt die Inszenierung Impulse für das Theaterleben? 
- 
              Theatertheorie (sparsam dosieren, nicht seminaristisch): Beruft sich der Regisseur auf ein Vorbild (Brecht, Lessing, Heiner Müller etc.), verfolgt er ein Programm (engagiertes Theater, Postdramatik, armes Theater etc.)? 
- 
              Schreibstil beachten, Satzlängen variieren, Alltagsjargon sparsam verwenden, Fremdwörter an der richtigen Stelle, Pointen nicht herbeikrampfen. Überschrift beachten, dort womöglich Leitthese einbauen (diese am Textende einholen). 
- 
              Versuchen, einen eigenen Blickwinkel zu erarbeiten und die Aufführung so zu rekonstruieren. 
Wichtig: Ein  Kriterienkatalog ist nicht schematisch zu geben; die Aufführungskritik ist  immer auf das Leserpublikum auszurichten! 
            7. Inwiefern  kann Heiner Müllers Hamletmaschine als Vorläufertext für das postdramatische  Theater gelten? Lesen Sie dazu S. 11-39 von Lehmanns (1999) einschlägiger  Studie. 
          Tatsächlich war die Hamletmaschine von großem Einfluss auf die Formensprache  des Theaters – ein Text, den Müller einmal als Lesedrama bezeichnete, weil er  seine Inszenierung weithin offen gelassen hat und diese in keinem realistischen  Sinn mehr umgesetzt werden kann. Inhaltlich und dramaturgisch zeigen sich  folgende Impulse: 
- 
              Auflösung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung; 
- 
              Auflösung aller Wahrscheinlichkeitsprinzipien: 
- 
              Auflösung der Figurenidentität, wechselnde Identitäten, Figuren tauschen Rollen; 
- 
              Texte sind oft keinem Sprecher mehr zugeordnet, sondern ‚Stimmen’ oder ‚Sprachflächen’ (Jelinek). 
- 
              Feste Signifikationen im Text sind gelockert zu vielen Bedeutungen, die besonders durch die Vielzahl von Anspielungen und Intertexten entstehen. 
- 
              Der Einsatz von Musik ist nahegelegt, aber offen gelassen; Sprache kann in Musik übergehen. 
- 
              Die Bühnenmittel verselbstständigen sich und tragen die Handlung nicht mehr. 
Kap. 5.1  
            1. Welche  Bereiche oder Kunstdisziplinen kann der Begriff der Intermedialität umfassen? 
          Gemeint ist damit zunächst das Inbezugsetzen oder Interagieren der Künste  untereinander, mit beliebigen Kombinationen (am beliebtesten wohl: Text – Bild,  aber auch Musik – Wort), wobei hier die Motivübernahmen bzw. Möglichkeiten der  thematischen Verarbeitung im anderen Kunstmedium zu analysieren sind. Ferner  gibt es die technische Seite der Medien, etwa beim Zusammenhang der beweglichen  Bilder des Films mit der Erzählkunst des 19. Jahrhunderts, oder wechselseitige Einflüsse  der Künste in den akustischen Formen, zu denen etwa Literatur im Radio als  Lesung oder Hörspiel entwickelt wurde. Eine strikte konzeptionelle Eingrenzung  ist schwierig, insofern das Verhältnis der Künste wie auch deren Interagieren  mit technischen Medien gemeint sein kann – dennoch ein anwendungsfreudiger  Begriff im kulturwissenschaftlichen wie auch im didaktischen Bereich. 
  2. Lessings  Unterscheidung von Wort und Bild wird noch heute oft als Lehrmeinung angeführt.  Referieren Sie die Argumentation, die Lessing in Kap. 16 und 17 der Laokoon-Schrift  entfaltet, genauer. 
          Lessings Leitfrage ist, welches Verhältnis die Zeichen zum Dargestellten haben.  Malerei bezieht sich anders auf die Dinge als Wörter, sie braucht Figuren und  Farben im Raum, Poesie hingegen arbeitet mit ‚Tönen in der Zeit’. Da die  Zeichen ein bequemes Verhältnis zum Dargestellten haben sollten (oder in dieser  Weise am besten funktionieren), so kann Malerei Dinge nebeneinander im  räumlichen Verhältnis (Simultaneität), Poesie aufeinanderfolgende Gegenstände  bzw. Handlungen ausdrücken (Sukzessivität). Entsprechend haben die Künste ihre  spezifischen Aufgaben und auch Mängel – unbewegliche Gegenstände sind demnach  eher Sache der Malerei, Handlungen, Ideen oder Personencharakterisierungen Angelegenheit  der Dichtung. Bewegung kann durch bildende Kunst nicht mittels natürlicher  Zeichen dargestellt werden, Dichtung hingegen tut sich mit räumlichen Dingen  schwer. Malerei wie auch Poesie seien Vortäuschung von Lebendigkeit wesentlich.  In diesem Zusammenhang ist das Theorem des ‘fruchtbaren Augenblicks’ zu sehen,  der in der Malerei den ‘prägnantesten’ Ausblick auf das Vorangehende und das  Darauffolgende erwecken, ein Höchstmaß an Merkmalen bündeln und in der Poesie  ‚das sinnlichste Bild des Körpers’ wählen soll, um der Einbildungskraft Platz  zu geben. Insgesamt ist die Argumentation Lessings aber auch taktisch zu sehen,  indem er für das Wort ein eigenes Recht reklamiert und es der puren  Bildlichkeit entzieht (entgegen der bildorientierten Haltung der Frühaufklärer).  Herder wird diese Argumentation auflösen und eine Wirkungskraft postulieren,  die er aber auf Seiten des Rezipienten verortet. Insgesamt sind die  Distinktionen Lessings durch spätere Kunstformen überholt worden (einerseits  etwa der Simultanstil der Dichtung, andererseits Polyperspektive und  verschiedene Zeitstufen im gemalten Bild). 
  Kap. 5.2  
  1. Definieren  Sie den Ekphrasis-Begriff in vier Sätzen. 
          Eine Definition findet sich im Buch auf S. 241. Ekphrasis ist eine griechische  Gattungsbezeichnung für die Bildbeschreibung; sie „kennzeichnet die  traditionsreichste, geläufigste und sicherlich umfangreichste Reaktion von  Literatur auf bildende Kunst. Die erste überlieferte Bildbeschreibung ist  Homers Dichtung über den Schild des Achilles (18. Gesang der Ilias).  Dort wird bereits eine grundlegende Funktion deutlich: Die klassische Absicht  der Ekphrasis ist es, das beschriebene Werk auf lebendige Weise vor Augen zu  stellen, es zu vergegenwärtigen und einen authentischen Eindruck zu erzeugen,  was mit dem rhetorischen Programm der Energeia, der größtmöglichen Wirkung auf  die Vorstellungskraft des Zuhörers verbunden ist.“ 
  2. In einem  Brief vom 23. Okt. 1907 beschreibt Rilke ein Selbstbildnis Cézannes. Inwiefern  lässt sich sagen, dass er beim Sehen des Bildes auch eine neue Sprache sucht? 
          Rilke arbeitet hier an einem Programm des ‚neuen Sehens’: An den Bildern  Cézannes sucht er seine Sprachskepsis zu überwinden bzw. Impulse zu erhalten,  so dass die Worte ‚zu sich selber kommen’. Die Beschreibung ist denn auch nicht  sachlich-faktisch, sondern Rilke benutzt Vergleiche (‚als ob’), erfindet die  kühne Metapher des ‚Vorgeschuhtseins’, wiederholt Ausdrücke mit  Verfremdungseffekt und setzt Alliterationen ein. Anders gesagt, es geht ihm  mehr noch als um den Inhalt um Experimente mit der Sprachform, die er durch den  Anschauungsprozess gewinnt – das Sehen wird hier selbst zum Thema erhoben.  Folgen hatte dies auch für Rilkes Lyrik: Das ‚sachliche Sagen’ der Neuen  Gedichte bedeutet, abzusehen von den Emotionen und der Sachlichkeit des  Sprachmaterials auf die Spur zu kommen, das immer wieder selbst in den  Mittelpunkt rückt. 
  3. Vergleichen  Sie Schwitters’ Gedicht Anna Blume mit einer seiner Merz-Collagen.  Gibt es verwandte Konstruktionsprinzipien? 
          Schwitters ist ein intermedialer Künstler par excellence und hat immer wieder  ‚Synergie-Effekte’ genutzt. Diese lassen sich auch in einem Bild-Text-Vergleich  festmachen: 
- 
              Fertigteile werden aus ihrem Alltagszusammenhang genommen und im Kunstwerk neu montiert: sprachliche (Wandinschriften, Ausrufe) in ‚Anna Blume’, optisch-haptische in den Merz-Collagen (Zettel, Billets, Zeitungsausrisse). Das entspricht der Entstehung des Wortes ‚Merz’, das Schwitters als Ausschnitt eines in der Zeitung gedruckten Wortes entdeckte (womit nebenbei die ästhetische Schnittstrategie im programmatischen Titel reflektiert wird). Zugleich aber wird das homophone ‚März’ und die ‚Kommerzialisierung assoziiert. 
- 
              Zu beachten ist die Wiederholungsstruktur, in der die Einzelteile abgewandelt bzw. variiert und in neue Zusammenhänge gestellt werden. 
- 
              Die Überleitung zwischen den Bildteilen ist diskontinuierlich, es entstehen wie auch in den Zeilenschnitten der Gedichtverse Brüche, die auf das Kunstmaterial selbst hinweisen. 
Kap. 5.3  
            1. Inwieweit  nimmt E.T.A. Hoffmanns Novelle Don Juan auf Mozarts Don Giovanni Bezug? 
          Dass der Erzähler dem Musikerlebnis enthusiastisch-sinnlich frönt, indem er  einer Opernaufführung des Don Giovanni lauscht, zeigt die typisch  romantische Erlebnisweise der Mozartschen Oper. Hoffmann, der sich den Zunamen  ‚Amadeus’ als Mozartbewunderer selbst gab, lässt beim Erzähler im musikalischen  Nervenerlebnis einen übergreifenden Lebenszusammenhang fühlbar werden, was sich  syntaktisch-stilistisch in jeweils veränderten Schreibweisen niederschlägt.  Musik eröffnet ferner eine Kommunikationsebene jenseits der Sprache. Mit Kunst  ist hier auch das Liebesthema verbunden – an der Don Giovanni-Figur wird die  Unzulänglichkeit des irdischen Liebesstrebens sinnfällig. Umgekehrt könnte  Donna Anna, die dem Erzähler in einer Vision erscheint, den Gegenentwurf einer  idealen Liebe darstellen, doch stirbt sie (gemäß romantischer Ironie) in  derselben Nacht, wovon der Erzähler in desillusionierenden Wirtshausgesprächen  erfährt. 
  2. Versuchen  Sie eine eigene Sprechversion von Schwitters’ Ursonate! (Sie können dies  mit der Fassung auf der Homepage vergleichen, die Schwitters’ Sohn gesprochen  hat.) 
          [wird noch digitalisiert] 
  Kap. 5.4  
  1. Welche  Verhältnisse zur (Kunst-)Umwelt können Gesamtkunstwerke haben (etwa am Beispiel  der Avantgarde)? 
          Extrempole sind: 
- 
              Der Aufbau einer kunstimmanenten Welt durch Zusammenschluss der Künste, die sich gegen die empirische Welt abgrenzen – ihre sinnlichen, synästhetischen Effekte verdoppeln oder vertiefen den Kunsteindruck und bewirken einen gesteigerten Illusionismus (Wagner) oder sie sollen das Wesenhafte, Übersinnliche der Dinge evozieren (Kandinsky). 
- 
              Im Zusammenschluss von Künsten und Umwelt wollen die Avantgardisten aus dem Geist der Kunst die soziale bzw. politische Welt regieren. Der kämpferisch-militärische Avantgarde-Gedanken hat mittlerweile der Popkultur Platz gemacht, die alles zum ästhetischen Gegenstand erklärt: Alltagsereignisse, Lebensstile oder Trivialgeschehnisse. 
2. Wie ändert  sich das Verhältnis von Autor, Text und Leser im digitalen Hypertext? 
          Ausführlicheres findet sich etwa bei Simanowski (2002), insbesondere der  Komplex ‚Interaktivität’: Ein Autor gibt mit digitalen Texten nur noch Impulse,  keine abgeschlossenen Werke, der Leser arbeitet diese fort, wird selbst zum  Autor usw. bei wechselseitigen Kommunikationsprozessen. Texte werden nicht mehr  als abgeschlossenes Ganzes verstanden, sondern haben hypertelische  Verweisstrukturen, sind offen für neue Verlinkungen auch mit Ton- oder  Bilddateien. 
  Kap. 5.5  
  1. Welche  Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts haben die Entwicklung des Films  begünstigt? 
          Die Beschleunigung des Lebenstempos durch Verkehrsmittel (Eisenbahn und später  die ersten Automobile), die dem Reisenden schnelle Bilder ohne eigene  körperliche Aktivität lieferten, des weiteren die Lebensbeschleunigung in der  Großstadt (künstliche Wohnungs- und Straßenbeleuchtung) sowie  kunstgeschichtlich das Massenmedium des Panoramas; auch Nachrichtenmedien haben  das technische Bedürfnis gesteigert, lebende Bilder zu produzieren. Anders  gesagt: Der Lebensalltag war bereits in einigen Bereichen selbst schon  kinematografisch geworden, ehe die Serienfotografie von den Gebrüdern Lumière,  von Anschütz oder Messter zur Filmreife entwickelt wurde.
  2. Welche  inhaltlichen und formalen Parallelen von Lyrik und Kino lassen sich an den  folgenden beiden Gedichten feststellen: Jakob van Hoddis: Schluß:  Kinematograph (Gedicht-Zyklus Varieté) und Gottfried Benn: Nachtcafé? 
          Bei van Hoddis steht das rauschhafte, illusionsstarke Kino im Vordergrund, das  zugleich mit seinen grotesken Bildzusammenstellungen entlarvt wird und  Heimatfilmmotive mit exotischen Ansichten äußerst heterogen mischt. Die  optische Aufzählung gibt Anlass auch für akustische Reihungen – die lautlichen  Nachbarschaften der Alliterationen sind es, die zwar als wiederholte Buchstaben  aufscheinen, aber ebenso als eingebildete Akustik wirken und die Semantik des  Gedichtes regeln. Die Zusammenstellung von ‚Kopf’, ‚Kiepe’ und ‚Kropf’ ist  lautlich motiviert (ebenso wie ‚Kühe’ und ‚Kartoffelfelder’), womit neue  Bedeutungsketten in Gang gesetzt werden. Die Alliteration ‚geil’ und ‚gähnend’  kennzeichnet inhaltlich die Schwebelage der Halbschlafbilder, die das Gedicht  bei aller Chaotik in regelmäßigen fünf Hebungen pro Verszeile (und je vier  davon in vier Strophen) formt. 
          Bildwechsel mit hoher Frequenz sind auch in Benns Nachtcafé gesetzt,  allerdings hier auf den urbanen (und leicht morbiden) Bereich der abendlichen  Cafégäste. Diese werden mit Schnitttechniken in Teilen, die die ganze Figur  wiedergeben sollen, dargestellt; die Körperteile mischen sich zu einem  ebenfalls grotesken Gesamtbild. Zitatpassagen (Alltagssprache) mischen sich mit  medizinischem, biblischem oder künstlerischem Diskurs und wirken ebenfalls wie  sezierte und zusammengefügte Teile. Diese Bildfügungstechniken scheinen vom  Filmmedium mit inspiriert, obwohl die Schnittfrequenz hier höher ist als im  zeitgenössischen Film, der seinerseits dann das Tempo (womöglich von der  Literatur inspiriert) beschleunigt. 
  3. Vergleichen  Sie die Erzählstrukturen von Peter Handkes Die Angst des Tormanns beim  Elfmeter mit der Filmversion von Wim Wenders und machen Sie eine  Gegenüberstellung in Stichworten! 
          [Es wird daran gearbeitet, Teile des Films ins Netz zu stellen] 
  Kap. 5.6  
  1. Adornos Noten  zur Literatur sind als Rundfunkbeiträge konzipiert. Lassen sich aus seinem  Beitrag zu Schillers Wallenstein Rückschlüsse auf damalige und heutige  Hörgewohnheiten ziehen? 
          Die Noten zur Literatur sind anspruchsvolle Essays, die zugleich auch  vollgültige Sekundärliteratur darstellenund in denen Adorno sich immer wieder  auch auf philosophischer und kunstsoziologischer Ebene geäußert hat. Im Wallenstein-Beitrag  (der sich auf die viel zitierte Prologzeile „Ernst ist das Leben, heiter ist  die Kunst“ bezieht) wird über das Problem der Kunstautonomie reflektiert bzw.  über die Freiheit der Kunst in unfreien gesellschaftlichen Verhältnissen,  welche unter Vorzeichen der Kulturindustrie kaum mehr Spielräume für die Kunst  lassen. Wenn dies schon das Vermögen damaliger Zuhörer strapaziert haben  dürfte, so ist nach heutigen Maßstäben eine äußerst starke  Aufmerksamkeitsleistung nötig – der Radioessay ist womöglich eine exklusive  Gattung geworden. 
  2. Vergleichen  Sie die Tonproduktion der Einstürzenden Neubauten zu Heiner Müllers Hamletmaschine mit dem Vorlagetext! 
          Heiner Müller hat dramatische Sprache vor allem in der Nähe der Musik gesehen –  sie sollte nicht für Nachrichtenübermittlung zugerüstet werden, sondern  sinnliche und Assoziationspotenziale freisetzen, im Falle der Hamletmaschine auch den Schrecken fühlbar machen, ihn nicht bloß aussagen. Dass damit auch  eine Wahrnehmungslust verbunden sein kann, macht die Tonproduktion (bei der  Müller gelegentlich Regiehinweise nuschelt) deutlich, die Laute dehnt,  Klangcollagen als Fortsetzung der Sprache ausbreitet und den Text in ein  bedrohliches Chaos überführt, das allerdings rhythmisch oder durch  wiederkehrende (Leit-) Motive strukturiert ist. 
          [Die Rechtefrage zur Verlinkung mit der Tonproduktion wird noch geklärt.] 
  3. Welche  gemeinsamen Strategien hat die Literatur aus Kino und Rundfunk übernehmen  können?  
- 
              Experimentelle Verfahren: Schnitt und Montage, Auflösung der Kontinuität, Montage der Einzelteile zu einer Sequenz oder fließend-panoramatische Darstellung; Kameraausschnitt und Zoom, der die Aufmerksamkeit auf das gewünschte Detail lenken kann; 
- 
              Perspektivwechsel; 
- 
              akustische Effekte: Aufmerksamkeit auf den sprachlichen Signifikanten; Wörter können als Klangkörper erscheinen, ohne etwas bezeichnen zu müssen; 
- 
              Dokumentarische Techniken: O-Töne, Ausschnitte aus der medialen Wirklichkeit. 
Kap. 6.2  
            1. Auf welche  Gegenstände kann sich Verstehen beziehen? 
          Auf prinzipiell alle Kunstgegenstände (literarische Texte, Bilder, Skulpturen,  Architektur, Musikwerke), aber auch allgemein mündliche oder schriftliche  Äußerungen und sinntragende Konstruktionen, Alltagserscheinungen oder  Lebensvollzüge (Heidegger). Verstehen kann dabei aber nicht abschließendes  Interpretieren bedeuten, insofern dieses immer unscharfe Ränder des  Nichtverstehens aufweist und sinntragende Elemente in wechselnden Kontexten  auch andere Bedeutungen erhalten können. 
  2. Welche  Bereiche umfasst das Modell des hermeneutischen Zirkels – und warum könnte man  besser von einer Spirale sprechen? 
          Eine Zusammenfassung der Zirkelbegriffe findet sich auf Seite 285 im Buch: 
  „Eine frühe Form des hermeneutischen Zirkels ist von Luther geprägt worden, für  den sich das Verstehen aus dem genauen Lesen der Bibel als Inbezugsetzen von  Texteinzelnem und Ganzem ergibt. Von Dilthey ist der Begriff ausgeweitet worden  auf das Zusammenspiel von individuellem Horizont und allgemeinem Horizont der  geschichtlich überlieferten Welt in Form des Kunstwerks. Allgemeiner und heute  gebräuchlicher kursiert der Begriff im Sinne Heideggers und Gadamers, die jede  Deutung als Begegnung zwischen dem Verstehenden und dem Fremdhorizont, im  besonderen Fall zwischen dem Erkenntnisrahmen des Lesers und den neuen  Perspektiven des Gelesenen oder Erkannten bezeichnet. In diesem Sinne ist  Verstehen, Lesen und Erkennen immer eine Deutungshandlung – denn niemals liegt  der Sinn einer Botschaft vollständig vor oder ist er schon vollständig  interpretiert, vielmehr konstruiert ihn jede neue Interpretation erst.“ 
          Insofern Gadamer den hermeneutischen Zirkel in unterschiedlichen Formen am  Lesevorgang herausgearbeitet hat, nämlich als Wechselspiel zwischen den beiden  Horizonten des Textes und des Lesers, die sich gegenseitig verändern, ließe  sich hier ein unabschließbarer Prozess erkennen, der auch in einem Spiralmodell  beschrieben werden könnte 
  3. Warum ist  Diltheys Gegenüberstellung von erklärenden Naturwissenschaften und verstehenden  Geisteswissenschaften grundsätzlich heikel? 
  ‚Erklären’ bedeutet eine Faktizität, die Dilthey den Naturwissenschaften  zugesteht, nicht aber den Geisteswissenschaften mit ihrem miterlebenden  ‚Verstehen’. Wie Heidegger dagegen gezeigt hat, gibt es prinzipiell keine  Wissenschaft ohne Verstehenszirkel, weil der Erkenntnisvorbehalt auch gegen die  scheinbare Objektivität der Naturwissenschaften gerichtet werden muss: Auch  dort kann man das erkennende Subjekt und das erkannte Objekt nicht streng  trennen, und es gibt keine ‚Dinge an sich’, die rein sachlich zu beobachten  wären, sondern diese erweisen sich immer als Produkte eines  Verstehensprozesses, eines ‚Vorverständnisses’ oder methodischen ‚Vorgriffes’,  wovon die Resultate mitproduziert werden. Dieser Zirkel ist Grundbedingung des  Verstehens – was sich im übrigen durch eine geschichtliche Betrachtung der  Naturwissenschaften leicht erweisen lässt. 
  4. Kann es die  Gadamersche ‚Horizontverschmelzung’ wirklich geben? 
          Es handelt sich hier um ein Idealkonstrukt von Kommunikation, das aber  (übrigens auch nach Gadamers eigener Auffassung von wechselseitigen  Zirkelstrukturen) nicht aufgehen kann. Horizontverschmelzung von Kommunikanden  aber zum Ziel zu setzen, würde nicht nur pragmatisch zu Verständigung  auffordern (in der Alltagskommunikation zweifellos wesentlich), sondern in der  interkulturellen Kommunikation Unterschiede leugnen. Dagegen lässt sich mit  Derrida das Ziel der ›Wahrheit‹ bei Gadamer sowie seine Sinndeutungen  kritisieren und gegen alle Konsenssuche und alles Bemühen um Einvernehmen das  Recht auf Widerstreit und auf die Anerkennung des Heterogenen reklamieren. 
  5. Entwerfen  Sie im Sinne der ‚konstruktiven Hermeneutik’ bzw. der ‚aktiven Rezeption’ eine  Unterrichtsdoppelstunde über Rilkes Gedicht Der Panther! 
          Dass Rezeption nicht einfach ein passiver Vorgang ist, ist längst zum  Grundbestandteil der Literaturdidaktik geworden, die unterrichtspraktisch  darüber reflektiert hat, wie analytische Teile mit konstruktiven verbunden  werden können. Als Beispiel Rilkes Panther: 
          Das Gedicht wird erlesen, indem die Schülerinnen und Schüler versuchen, es in  rhythmisches Gehen zu übersetzen, und zwar im geschlossenen Klassenraum sowie  ‚outdoor’. Darüber sollten Eindrücke ausgetauscht werden. Sodann können erste  Eindrücke zu Einzelbildern als Vorstufe einer Analyse fungieren: Gibt es eine  Bildstruktur, wie wird die Blickwahrnehmung des Lesers gelenkt? Welche  Seheindrücke werden dem Panther zugeschrieben? Damit artikuliert Rilke  zweifellos ein Lebensgefühl, was (Bildanalysen einbeziehend) mit dem eigenen  Geherlebnis verglichen werden kann. In der zweiten Stunde soll gezeigt werden,  dass alle Befindlichkeiten über Sprachzeichen kommuniziert werden: die  artistische Gestalt des Gedichts (Auffälligkeiten bzw. Alliterationen,  Wiederholungsstrukturen) weist das Gedicht als Artefakt aus. Es folgt eine  Einordnung in die dichterische Strömung des Symbolismus. 
          Grundgedanke der Aktion des Gehens ist dabei, Interesse zu wecken, dem Gedicht  aber auch eine sinnliche Wahrnehmung zu ermöglichen. Darüber wiederum lässt  sich die Diskussion intensivieren und schließlich die Memorierbarkeit des  Textes durch den Zusammenhang von Handlung und Analyse verbessern. 
  Kap. 6.3  
  1. Was  kennzeichnet Staigers geistesgeschichtliches Konzept, und gegen welche Fronten  grenzt er sich ab? 
          Um den Blick auf die werkimmanente Ebene zu intensivieren, distanziert sich  Staiger vom psychologischen Positivismus Wilhelm Scherers (Texte als  historische Bestandsaufnahmen oder Krankengeschichten mit kausalen Herleitung  der Werke von Erlebtem, Erlerntem und Ererbtem), von der Geschichtsschreibung  aus der Genieperspektive, wie sie etwa Friedrich Gundolf vornahm, von der  zeitgenössischen nationalistischen Geschichtsschreibung etwa Josef Nadlers,  auch von der Geistesgeschichte, insofern sie Texte mit Philosophien verbindet  oder darin aufgehen lässt. 
  2. Erörtern Sie  Stärken und Grenzen der werkimmanenten Interpretation! 
          Ein Positivum ist zweifellos, dass die Ebene der Dichtungs- oder Kunstformen  genauer und einigermaßen vorbehaltlos analysiert werden kann; die Schulanalyse  profitiert noch heute von dem Analyseinstrumentarium, das Wolfgang Kayser u.a.  herausgearbeitet haben. Dennoch bleibt der Blick auf die gesellschaftlichen  Verhältnisse ganz unterbelichtet: Von der sozialhistorischen und -kritischen  Betrachtungsweise (durch Georg Lukács und Walter Benjamin in den 1920er Jahren  angeregt), die von der etablierten Universitätsgermanistik offen diskriminiert  wurde, ahnt Staiger nur wenig, auch Kayser blendet diese Ebene aus. Dadurch  tendiert die werkimmanente Interpretation zur Ideologiebildung: Sie hinterfragt  nicht ihre Arbeitsvoraussetzungen. Auch der ‚reine’ Blick auf das Werk erfasst  eben nur Ausschnitte; der auf das ‚Werk’ gerichtete Blick muss stets  relativiert werden und den historischen Kontext berücksichtigen. Erst in den  1960er Jahren wird an die Stelle des ‚Werkes’ der Textbegriff rücken, der  offener und vielschichtiger konzipiert ist. 
  Kap. 6.4  
  1. Wie lässt  sich die Annahme eines aktiven Lesers hermeneutisch begründen? 
          Anhaltspunkte lassen sich auf der praktischen Ebene der Leseerfahrung ebenso  wie bei der theoretischen Beschreibung der Rezeptionsverhältnisse finden. Dass  bei einem Text von unterschiedlichen Lesern zu unterschiedlichen Epochen ganz  andere Perspektiven realisiert werden, wusste bereits die romantische  Hermeneutik, was zu ihrem Hintergrund einer stark subjektivierten Wahrnehmung  gut passte. An dem Grunddilemma, dass Leser offenbar immer eine zutreffende  Deutung suchen, aber schon bei der privaten Erst- und Zweitlektüre Differenzen  bemerken, arbeitet die Hermeneutik seitdem: Zwischen (text-) objektiver Analyse  und (leserseitig) subjektiver Analyse pendeln die Positionen, was sich  schließlich noch in Gadamers Begriff der Horizontverschmelzung niederschlägt –  die aber aufgrund der sich stets verschiebenden Hozionte theoretisch nicht  stattfinden kann. Die hermeneutische Betonung eines subjektiven  Vorverständnisses bzw. Horizontes ist mittlerweile auch lesepsychologisch  weithin bestätigt worden. 
  2. Welche  praktischen Anwendungsfelder hat die Rezeptionsästhetik gefunden? 
          Die empirische Rezeptionsforschung von Groeben oder Faulstich untersucht, wie  bestimmte literarische Leseweisen zustande kommen, warum welches Publikum  welche Texte bevorzugt und wie Textbedeutungen vom Leser konstruiert werden.  Methoden können sein: 
- 
              Leser/innen zu Texten freie Assoziationen produzieren zu lassen; 
- 
              Inhaltsangaben oder Paraphrasen zu fordern; 
- 
              Wörter in Lücken einsetzen lassen. 
Daraus können  ›Konkretisationsamplituden‹ erstellt werden, die die Ausschläge des subjektiven  Faktors beim Lesen veranschaulichen: Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit stellen  prinzipiell einen »Spielraum-Faktor« literarischer Werke dar, deren kognitive  und emotionale Verarbeitung zu untersuchen ist. 
  Ähnliche Annahmen haben empirisch-konstruktivistische Studien später für  wissenschaftliche Analysen gezeigt: Auch dort werden Bedeutungen nicht nur  rezipiert, sondern auch in Sinnfiguren konstruiert (Kohärenzbildung).  Demzufolge wäre das Kriterium für Deutungen nicht ›Richtigkeit‹, sondern  ›Viabilität‹, d.h. die Frage, wie es sich mit einer Interpretation leben lässt  bzw. wie weit man mit ihr kommt, welche Perspektiven sie verspricht, ob die  abgeleiteten Folgerungen aufgehen etc. Interpretieren erscheint dann als  Mitkonstruktion von Welten denkbar – welche wiederum von vielen Leser/innen im  Gespräch diskutiert werden. 
  3. Was  sind Leerstellen und wie kann der Leser mit ihnen umgehen (Bsp.: der  Erzählschluss von Georg Büchners Lenz)? 
          Es handelt sich dabei nicht einfach um semantische Sinnlücken, sondern um  Gelenkstellen, die dem Leser entscheidende Tätigkeiten ermöglichen: Sie stellen  Einschnitte dar, wo der Leser Vergangenes zusammenfassen und dieses mit dem zu  Erwartenden verknüpfen kann; er kann dort Imaginationen bilden und sich  produktiv betätigen, daraus wiederum Hypothesen über den Handlungsablauf bilden  und diese dann im Fortlauf der Lektüre abgleichen. Büchners ‚Lenz’ weist mit  dem lakonischen Schlusssatz ein bemerkenswertes Ende auf, das entweder als  fortwährende Geistesabwesenheit Lenz’ gedeutet werden kann oder aber als ein  weiterer temporärer Bruch in seiner Geschichte, nach dem wieder neue  Entwicklungen denkbar wären. Das nicht abgerundete Ende fordert den Leser  geradezu auf, Hypothesen zu entwerfen oder die Geschichte Lenz’ weiter zu  denken mit möglichen Konsequenzen. 
  4. Was ist an  der Rezeptionsästhetik kritisiert worden? 
          Die Rezeptionsästhetik denkt einen idealen Leser – der Literaturwissenschaftler  verallgemeinert schlicht sein eigenes Leseverhalten durch Selbstreflexion. Die  Verallgemeinerbarkeit ist aber ein Problem – denn zweifellos gibt es auch  andere Leser (nicht-professionelle oder solche mit anderer  Schichtzugehörigkeit). So hat man die fehlende Empirie kritisiert, ein Manko,  das die empirische Rezeptionsforschung aufheben wollte. Dass auch die  gesellschaftliche Basis zu wenig berücksichtigt worden sei, hat Gumbrecht  berücksichtigt, der an konkreten Analysen gezeigt hat, wie sich die Rolle des  Lesers historisch wandelt und wie dies im Zusammenspiel mit Text- und  Gattungsstrukturen dargestellt werden kann. 
  Kap. 6.5  
  1. Auf welchen  Gebieten hat sich die Psychoanalyse in der Nähe der Literaturwissenschaft  ausgewirkt?  
- 
              In der Analyse der künstlerischen Schaffensprozesse, wobei die Autorpsychologie weiterentwickelt worden ist – angeregt von Freuds Ausführungen über den Dichter und das Phantasieren bis zur Literatur- und Kunstpsychologie von Ernst Kris und schließlich zur Kreativitätsforschung (Guilford, Brodbeck). 
- 
              In der Psychologie der Figuren, deren Konstellationen im Text untersucht werden, ohne dabei auf den Autor zu schließen – Fragestellungen sind z.B., warum eine Figur auf bestimmte Weise denkt, phantasiert oder agiert und wie ihre rätselhaften Verhaltensweisen zu erklären sind. Besonders die problematischen Gestalten haben die Literaturwissenschaft mit Analysen beschäftigt (Wünsch); auch werden Figuren zu einem Persönlichkeitstyp (etwa dem Melancholiker oder der Hysterikerin) zugeordnet. 
- 
              In der Rezeptionstheorie hat Holland die sehr unterschiedlichen Reaktionen empirischer Leser auf einen Text mit Mitteln der freien Assoziationen und der schriftlichen Aufzeichnungen untersucht, um ferner durch psychoanalytische Interviews parallele Tiefenstrukturen von Texten und Lesern aufzudecken. Diese seien eine Voraussetzung, unter der jede Interpretationstätigkeit stattfindet. 
- 
              In der Freiburger literaturpsychologischen Schule sind anthropologische Komplexe thematisiert worden wie das Trauma (Mauser) oder Literatur und Sexualität (Cremerius), es finden sich hier aber auch weitere autorpsychologische Erörterungen (Pietzcker; Mauser). 
- 
              Viele Anregungen der Psychoanalyse wurden auch via Jacques Lacans strukturale Psychoanalyse weitergegeben – besonders im Aufweis der Heteronomie der literarischen Figuren, die sich wechselseitig voneinander bestimmt werden. Den Ansatz der Auflösung und Fremdbestimmtheit des Subjekts hat insbesondere Kittler aufgegriffen, um an seiner Deutung von Goethes Wilhelm Meister zu zeigen, wie die Hauptfigur durch fremde Schriften bzw. ein Archiv strukturiert wird. In dieser Sicht wird der Mensch zur Durchgangsstation bzw. zum Medium für die Wünsche und die Sprache anderer. Dieser Ansatz ist in den 1980er Jahren in die Beobachtung des Sprechens und Schreibens unter Medienbedingungen gemündet. 
2. Warum ist es  problematisch, den Autor ‚auf die Couch zu legen’? 
          Es werden dabei wichtige Textzusammenhänge verkürzt bzw. der Autorperspektive  untergeordnet; im schlimmsten Falle kann daraus Heiligengeschichtsschreibung  werden. Im übrigen sind die Ebenen des Autorlebens und des (fiktionalen) Textes  kategorial zu unterscheiden – Figuren sind nur eine Erfindung und nicht mit dem  Autor oder seinen Meinungen zu verwechseln. 
  3. Warum kann  man die Psychoanalyse auch als ‚Tiefenhermeneutik’ bezeichnen? 
          Die ‚Tiefe’ ist eine topisch-rhetorische Wendung, mit der seit Freud dasjenige  bezeichnet wird, was unter den Schichten der Rationalität oder der bewussten  Willenssteuerung oder Wahrnehmung liegt. Um dieses als Movens aufzudecken und  verdeckte Ängste, Phantasie, Zwänge etc. als Persönlichkeitsmuster (und Quelle  von Krankheiten) aufzudecken, will die Psychoanalyse eine Auslegung, also  Hermeneutik der Seelenzeichen unternehmen, die aber nicht als konstante  Symbolübersetzung, sondern mit Blick auf den jeweiligen subjektiven Kontext des  Patienten geschehen soll. 
  Kap. 6.6  
  1. Mit welchen  Begriffen wird im Strukturalismus Sprache analysiert (vgl. etwa de Saussure)? 
          Saussure hat ein zweiseitiges Zeichenmodell in die Diskussion gebracht, das aus  Signifikant (Bezeichnendes, Lautbild) und Signifikat (Bedeutung, Gemeintes)  besteht und auf die Wirklichkeit als dritter Größe referiert. Veränderungen im  Sprachsystem ereignen als wechselseitige Bestimmung der Signifikanten durch  Unterschieds- bzw. Oppositionbsildung. 
  2. Wie  überträgt Roman Jakobson dies auf poetische Sprache? 
          Literatur organisiere Zeichen, die nicht direkt auf die Welt verweisen, auf  ihre spezifische Weise; sie lenkt die Aufmerksamkeit besonders auf die eigene  Sprachform, also die Signifikantenebene und weicht in dieser selbstbezüglichen  Organisation von der Alltagssprache ab. Diese Differenzqualität hängt also vor  allem an der poetischen Sprachfunktion, die die Dichtung als anspruchsvolles  Spiel kennzeichnet. Dieses muss nicht auf ein außersprachliches Ding verweisen.  Das literarische Zeichen stellt sich damit selbst in den Vordergrund (foregrounding) – es handelt sich um eine Art Verfremdungseffekt, der darauf beruht, dass  der Signifikant der Rede, die sprachliche Oberfläche gegenüber der  Bedeutungsebene wichtiger geworden ist. Im konkreten Verfahren untersucht  Jakobson z.B. die verschiedenen strukturbildenden Prinzipien der lyrischen  Rede: Syntaktische Muster wie den Parallelismus; Wortklassen des Textes und  ihre statistische Häufung; die lautliche Seite des Wortmaterials; das Spiel mit  Lauten, also Assonanzen und Alliterationen sowie binäre Kodierungen, die den  Text strukturieren. 
          Jakobsons Analyse zielt auf die analytisch differenzierte Beschreibung der  sprachlichen Struktur des Gedichts selbst ab, das in seinen internen,  textimmanenten Relationen dargestellt wird und insofern möglichst ideologiefrei  gelesen werden soll. 
  3. Analysieren  Sie Schillers Das Lied von der Glocke nach Oppositionsstrukturen! 
          Folgende Leitdifferenzen sind zu erkennen, die auch untereinander in Beziehung  treten, sich verstärken oder kontrastiert sein können: 
          Leben – Tod 
          Kunst – Natur 
          Himmel – Erde 
          Arbeit – Kunst 
          Reflexion – Handeln 
          Oben – unten 
          Draußen – drinnen 
          Jungfrau – Jüngling 
          Sprödes – Weiches (Elementares) 
          Leidenschaft – Liebe 
          Blühen – Vergehen 
          Erde – Himmel 
          Mensch – Schicksalskraft 
          Gut – Böse 
          Zwietracht – Friede 
          Gewalt (Revolution) – Friede (Evolution). 
  4. Inwiefern  verabschiedet der Poststrukturalismus den Strukturalismus und welche neuen  Aspekte gewinnt er dem Zeichen ab? 
          Wenn der Strukturalismus das Verhältnis von Signifikant und Signifikat noch statisch  dachte, wird dies im Poststrukturalismus dynamisiert: Das feste  Bedeutungsgefüge von Signifikant und Signifikat wird dezentriert, neue  Bedeutungen können hinzu kommen und Gegen-Sinne bilden (Derrida: ‚Differenz’;  Dekonstruktion, Yale-School). Das gilt ebenso für die  literaturwissenschaftliche oder linguistische Analyse, die nicht mehr auf  kohärente semantische Zusammenhänge zielt und Sinntotalitäten bilden will,  sondern auch in sich gegenläufige Bedeutungsstrukturen und –prozesse aufdecken  soll. Darüber kann die Analyse selbst ästhetische Qualitäten bekommen, wenn sie  die sprachlichen Seiten aufgreift, etwa Anagramme bildet und die  widersprüchlichen Bedeutungsschichten aufdeckt und durchspielt. 
  5.  Dekonstruktivisten sprechen gerne von der rhetorischen Verfasstheit  philosophischer und literarischer Rede und meinen damit, dass man nicht auf die  Dinge direkt greifen kann. Können Sie dies am Rilke-Gedicht Der Abschied zeigen? 
          Rilkes symbolistische Gedichte (Abschied ist von 1906, aus den Neuen  Gedichten) arbeiten vor allem an diesem Problem: Wie lassen sich die Dinge  sagen, welche Form gibt ihnen den treffenden Aspekt, welches Bild gibt eine  interessante Perspektive? Die Eingangszeile deutet darauf hin: Bei „Wie hab ich  das gefühlt was Abschied heißt“ ist das erste Wort zu betonen, womit die Frage  nach der Art und Weise des Fühlens eröffnet wird und die Frage zu stellen ist,  welcher sprachliche Ausdruck zu geben wäre. (Die Betonung auf ‚hab’ würde  hingegen die Intensität des Fühlens hervorheben). Die Frage nach dem Wie wird  noch zweimal gestellt: Damit werden Hinweise gegeben auf die Modalitäten des  Erkennens, Erinnerns oder Fühlens, die als Vorgänge immer sprachabhängig sind.  Es werden keine Erinnerungsgegenstände oder Episoden geboten, vielmehr handelt  das Gedicht vom reinen Vorgang des Abschieds. So sind auch die sprachlichen  Experimente zu deuten, die Rilke unternimmt (kühne Vergleiche, Alliterationen,  besonders mit ‚w’) – untersucht werden damit sprachliche Möglichkeiten, den  Eindruck des Abschieds wiederzugeben. 
  Kap. 6.8  
  1. Der  Diskursbegriff wird auf diversen Gebieten verwendet. Können Sie die  unterschiedlichen Bedeutungen skizzieren? 
  ‚Diskurs’ hatte seit dem 18. Jh. vor allem die Bedeutung von ‚Gespräch’, ist in  diesem Sinne im angloamerikanischen Raum als Gesprächsanalyse (‚discourse  analysis’) etabliert worden und wird ähnlich noch heute in der linguistischen  Gesprächsanalyse gebraucht (vgl. Ehlich 1994). In Deutschland ist der Begriff  insbesondere in der Soziologie von Jürgen Habermas verwendet worden als  ‚Diskussion’, mit der sich Einzelne über die Gültigkeit von Normen verständigen  und versuchen, zu einem erträglichen Konsens zu gelangen. In der engeren  Anwendung auf die Erzähltheorie wird in Frankreich ‚discours’ als Fortlauf des  Erzählens in der schriftlichen Narration gefasst, die formal zu analysieren ist  (Genette 1994). Etymologisch bedeutet lat. ‚discursus’ das Durcheinander-, Hin-  und Herlaufende, und in dieser erweiterten Form hat Foucault dasjenige, was  ‚diskurriert’, als Sprach- und Denkmuster einer Epoche analysiert, die die  politischen Meinungen, konkreten Verhaltensweisen oder auch Literatur  bestimmen, genauer als „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem  angehören“ (Foucault 1973). Der Begriff ist mit seinen gesellschaftlichen  Bedeutungen mittlerweile von den Sozialwissenschaften, Kultur- und  Geschichtswissenschaften wie auch in Politologie und Psychologie importiert. 
  2. Unter  welchen Aspekten hat Foucault den Machtbegriff in die Diskursanalyse gebracht? 
          Den ‚Willen zum Wissen’ führt Foucault letztlich auf den ‚Willen zur Macht’  (Nietzsche) zurück: Der Anspruch auf die ‚wahre’ Interpretation einer Sache,  einer Gegebenheit oder eines gesellschaftlichen Umstandes zeigt immer auch eine  Beherrscherintention, indem andere Beschreibungen ausgegrenzt werden – und  damit auch Beschreibende, also Personen. Diskursinhaber können dann zu  Vertretern von Institutionen werden (Schulen, Universitäten, Gerichte,  Ärztekammern oder Verwaltungsbüros, Parlamente etc.) die als Machthaber die Herrschaft  von Diskursen als Lehrmeinungen oder politische Dogmen umsetzen. Dagegen  richtet Foucault seine Analysen der Entstehung von Diskursen im Sinne einer  Institutionenkritik. 
  3. Warum sind  Interpretationen auch Machtspiele (denken Sie an Schule und Universität)? 
          Zu beachten ist die zitierte Ansicht Foucaults, Interpretieren heiße „sich  eines Systems von Regeln, das in sich keine wesenhafte Bedeutung besitzt,  gewaltsam oder listig zu bemächtigen, und ihm eine Richtung aufzuzwingen, es  einem neuen Willen gefügig zu machen, es in einem anderen Spiel auftreten zu  lassen und es anderen Regeln zu unterwerfen“ (Foucault 1974c, 95). Die Wahrheit  von Interpretationen ist demnach eine willkürliche Größe, die Machtzwecken  unterworfen werden kann – sich die Deutungshoheit eines Befundes zu sichern  kann im negativen Fall bedeuten, über die Richtigkeit von Standpunkten zu  entscheiden, um damit (siehe Noten- und Zertifikatvergabe) über Lebensverläufe  oder Karrieren zu bestimmen. 
  4. Wie hängen Diskursanalyse und Medientheorie zusammen? 
          Teil einer jeden Mediengeschichte, die nicht nur positivistisch sein will, ist  auch die Analyse von Vorstellungen bzw. Konzeptbildungen, die diesen zugrunde  liegen. Umgekehrt gibt es, wie Kittler gezeigt hat, auch technische und mediale  Voraussetzungen als diskursive Praxis. Medien als solche, die für Foucault zur  nichtdiskursiven Praxis zählen würden, stehen bei Kittler im Vordergrund,  insofern sie die Botschaften inhaltlich formen und Denkweisen sowie  literarische Schreibweisen prägen, mehr noch: die gesellschaftliche  Wirklichkeit definieren. Stefan Rieger hat diesen Ansatz stärker auf die  zugrunde liegenden Diskurse bezogen, die technische Entwicklungen begleiten,  insbesondere das psychologische Wissen, das im Zusammenhang mit Speicher- oder  Übertragungsmedien entsteht. 
          Manfred Schneider hat die Politiken der Schrift analysiert, d.h. hinter dem  Funktionieren von Speichern das Programm gesucht, das ihnen zugrunde liegt – es  gibt Diskursstrategien hinter dem sichtbaren technischen Medium. Dies gilt  nicht nur für Zahlen- und Datenspeicher gilt, sondern auch für all jene  Archive, die mit Aufzeichnungen von menschlichen Daten, also Unterlagen,  Dossiers, Akten, Urkunden oder Notizen gefüllt sind – bis hin zu  Verhörprotokollen, Geständnissen oder autobiografischen Notizen. Zusammen  bilden diese Texte eine kulturelle Matrix, die wiederum literarischen Texten  zugrunde liegt, welche zumindest teilweise aus diesem Hintergrund erwachsen. 
  Kap. 6.9  
  1. Nennen Sie  Teilbereiche, in die die moderne Gesellschaft sich ausdifferenziert hat! 
          Luhmann (1984) setzt die funktionale Ausdifferenzierung der modernen  Gesellschaft um 1770 an; eigenständig sich entwickelnde Bereiche oder Systeme  wären zum Beispiel Politik, Recht, Ökonomie, Medizin, Kunst, Religion, die sich  nach je eigenen Leitbegriffen ausdifferenzieren. 
  2. Welches  Jahrzehnt gilt als die Sattelzeit für die Entwicklung zur Moderne? 
          Die 1770er Jahre, die sich allerdings bei näherem Hinsehen auch nur als  Anhaltspunkt erweisen bzw. als eine Schwellenzeit, in der vielfach latent schon  vorhandene Entwicklungen zum Durchbruch kommen. So gibt es bereits um im 16.  Jahrhundert Anzeichen für ein stark selbsreflektierendes Kunstsystem mit  eigenem Künstlerselbstbewusstsein und einem Autonomieanspruch, für die  Literatur hingegen lässt sich plausibel behaupten, dass sie sich um 1770 als  eigenständiges System konstituiert (Geniebegriff, Autor als Rechtssubjekt mit  geistigem Eigentum, programmatische Selbstreflexion, intertextuelle Vernetzung,  freie Lizenz für die Einbildungskraft). 
  3. Wie könnte  man den Begriff der Autopoiesis auf Literatur anwenden? 
          Die ‚Selbsthervorbringung’ beginnt dort, wo Literatur sich aus sich selbst  heraus definiert und sich selbst die Gesetze gibt. Dies ist auf der Ebene des  Autorselbstverständnisses und der zunehmenden Dichtungsprogramme zu beobachten  (das Genie gibt sich selbst die Regeln und weicht von den normativen Poetiken  ab), die Texte kümmern sich um ästhetische Gesichtspunkte (Schönheit,  Interessantheit, Ganzheit etc.) und nehmen stärker Bezug aufeinander (zitieren  sich etc.), der Leser bekommt Stoff, um seine Einbildungskraft zu entwickeln.  All dies passiert unter ausdrücklicher Zurückweisung aller Fremdansprüche von  anderen Systemen: Begriffe wie ‚nützlich’, ‚gut’ oder ‚wahr’ werden von den  Romantikern vehement abgewehrt. 
  4. Welches sind  Umwelten des Literatursystems? 
          Andere Systeme, die mit dem Literatursystem in Kontakt treten und versuchen,  ihre Leitdifferenzen darauf zu übertragen, z.B.: 
- 
              Ökonomie fragt etwa: Ist ein Buch rentabel oder nicht? 
- 
              Recht fragt: Gehört ein Buch auf den Index (Sittenverstöße, Königs- oder Gotteslästerung)? 
- 
              Politik fragt: Kann ein Buch zur Meinungsbildung nützen? 
- 
              Medizin kann nach medizinischen Themen eines Textes fragen oder das Buch unter Begriffen von ‚Gesundheit vs. Krankheit’ einschätzen. 
- 
              Pädagogik kann nach ‚Sittlichkeit vs. Unsittlichkeit’, ‚persönlichkeitsbildend oder verderbend’ fragen. 
- 
              Didaktik fragt nach der Unterrichtstauglichkeit oder dem Bildungspotenzial eines Textes. 
5. Was tut ein  Beobachter im Sinne der Systemtheorie? 
          Systemereignisse können durch einen Beobachter analysiert werden, der aber  wiederum ein eigenes System darstellt. Die Systemtheorie beschreibt dabei  nicht, wie reibungslose Kommunikation passiert, sondern sie zeigt ebenso  Inkompatibilitäten zwischen Systemen, unvereinbare Leitdifferenzen, die die  Kommunikation erschweren. Als Beobachtungstheorie sagt sie: Jeder Vorgang,  jeder Zustand und jedes Ding ist abhängig von der Perspektive des Beobachters,  von seinen Begriffen bzw. Beschreibungsweisen. Ein Leser zum Beispiel kann sich  als Boebachter verhalten, der den Text als fremde Welt kennen lernt, ihn unter  eigenen Systembedingungen nachschafft, sich mit der neuen Sichtweise  auseinander setzt und so etwas über seine eigene Weltsicht erfährt. Ein  Beobachter kann sein eigenes Beobachten und dieses wiederum auf dritter Ebene  beobachten usf., dabei gelangt er an kein Ende und kann seine Position nie  endgültig fixieren. Jeder Erkennende hat insofern einen blinden Fleck der  Selbsterkenntnis. Der Versuch des Beobachters geht dann dahin, unter seinen  eigenen Systembedingungen andere Systeme und ihre Leitdifferenzen zu verstehen. 
  Kap. 6.10  
  1. Inwiefern  bezeichnet McLuhan Medien als ‚Extensionen’ des Menschen? 
          McLuhan hat sich als Medienanthropologe verstanden, der über Wahrnehmungs- und  Ausdruckstätigkeiten forschte, die durch Medien intensiviert oder grundlegend  geändert worden sind. Die Wahrnehmung via Medien ist ausgeweitet: Mit den  Medien schaffe der Mensch sich gleichsam eine gedehnte Haut, er lege sich  künstliche Organe zu, die als Extensionen seines Nervensystems und seines  Machtbereichs wirken: „Heute, nach mehr als einem Jahrhundert der Technik der  Elektrizität, haben wir sogar das Zentralnervensystem zu einem weltumspannenden  Netz ausgeweitet und damit, soweit es unseren Planeten betrifft, Raum und Zeit  aufgehoben“ (1964/1995, 15). 
  2. Welche  kulturgeschichtlichen Folgen hatte der Buchdruck? 
  Über die Folgen hat Giesecke (1991, neu 2005) eine ausgezeichnete und  umfangreiche Studie vorgelegt. Eine knappe Auflistung mag die wesentlichsten  Punkte zusammenfassen (vgl. Seite 351 im Buch): 
- 
              Die Vereinheitlichung der Drucktypen zu einer normierten Informationsverarbeitung schafft das Bedürfnis nach vereinheitlichendem Denken in Wissenschaftssystemen der Neuzeit. 
- 
              Im regional übergreifenden Kursieren von Schrift wird die Entwicklung einer einheitlichen Hochsprache sinnvoll; daraus ergibt sich ein wachsendes Nationalbewusstsein. 
- 
              Flugschriftenliteratur mit religiösem, politischem und unterhaltendem Inhalt kursiert. 
- 
              Die Bibelübersetzung Luthers ist ohne den Buchdruck nicht denkbar, weil sie keine Verbreitung gefunden hätte; 
- 
              das gleiche gilt für die Reformation, die es ohne den Buchdruck in dieser Form nicht gegeben hätte. 
- 
              Mit der Praxis der stillen Lektüre bildet sich ein subjektiver Hallraum von Stimmen und mithin ein Reflexionsraum, der wiederum als eine Bedingung neuzeitlicher Individualität gesehen werden kann (vgl. Schneider 1987). 
- 
              Literatur wird als bezahlbares Medium zu einer öffentlichen Instanz, ja sie stiftet Öffentlichkeit bzw. öffentliche Meinung erst. 
- 
              Die Gattung des Romans wird befördert. 
3. Wie hängen  das Postwesen und die Novellenentwicklung zusammen? 
          Das Postwesen als verkehrstechnischer Faktor begleitet die Schriftverbreitung  seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, seine Logistik steht im engen Zusammenhang  mit der Entwicklung einiger Literaturformen im 18. Jahrhundert. Zunächst  etablierte sich das Zeitungswesen ausgehend von den Poststationen – an Knotenpunkten  der Verkehrswege laufen Nachrichten zusammen, die freilich keinen politischen,  sondern eher Unterhaltungswert hatten. Insbesondere in Deutschland hat die  nochmalige Beschleunigung des Postsystems Ende des 18. Jhs. die Novellengattung  begünstigt, die von den kurzen Zeitungserzählungen geprägt worden ist (was an  Schillers frühen Erzählungen oder bei Kleist besonders deutlich wird). 
  4. Vergleichen  Sie Ror Wolfs Weiter mit Musik als Tonproduktion und als Text (beides  auf der Homepage). Welche Sinneseffekte der unterschiedlichen Medien erkennen  Sie? 
          Hier bitte intensiv die eigenen Reaktionen beobachten! Das geschriebene Wort  wird anders wahrgenommen als das radiophone; die Lektüre könnte schal wirken,  das Auge neigt stärker zum Überfliegen oder summarischen Wahrnehmen, das Gehör  fordert eine andere Aufmerksamkeit und ist den Reizen eher passiv ausgeliefert.  Die Brüche, auch die Wiederholungseffekte treten in der Hörfassung stärker  hervor; achten Sie auf Echolalie-Effekte (Bedeutungsverlust eines Wortes oder  Satzes nach oftmaliger Wiederholung, das Wort tritt dann als eigener  Klangkörper hervor, dem die Bedeutung abhanden gekommen ist – eine Art  V-Effekt). 
  5. Wieso lässt  sich Schnitzlers Leutnant Gustl im Zusammenhang mit dem Grammofon sehen? 
          Das von Edison erfundene Grammofon gehört zur Gruppe der Wiedergabegeräte von  gespeicherten Geräuschen oder Stimmen (eine Vorstufe dazu war der Parlograf als  reines Stimmenaufzeichnungsgerät). Insofern Leutnant Gustl ein  kompletter innerer Monolog ist, funktioniert die Augenlektüre ähnlich wie das  Hören einer Sprechplatte über das Grammofon. Allerdings handelt es sich um  einen doppelten Illusionseffekt: Die Hauptfigur scheint ihre inneren Stimmen zu  äußern und wie auf einem Fonografen zu speichern; der Leser scheint eine  Schallplatte zu hören. Natürlich bleibt der Text ein Stück Literatur, die  gewisse Erzählprinzipien beibehält (Spannungsbogen, Konflikte,  Seelenspannungen, komische Auflösung). 
  Kap. 6.11.4  
  1. Welche  beiden Hauptzugänge der Anthropologie lassen sich auseinander halten? 
          Eine soziologische und eine geistesgeschichtliche Prägung: 
- 
              Soziologische Perspektiven haben in Deutschland zunächst durch Georg Simmel (Geldzirkulationen, Wahrnehmung in den Großstädten) und Max Weber (Protestantismus, der innerweltlichen Askese und der Entwicklung des Kapitalismus) auf die Anthropologie gewirkt, indem sie untersuchten, wie Denkformen und Mentalitäten bestimmten Gesellschaftsstrukturen entsprechen. In Frankreich zeigt sich eine gewisse Dominanz der soziologischen Tradition an der Karriere des ‚Mentalitäten’-Begriffs, der Aufschluss geben soll über Denkhaltungen, alltägliche Lebensformen, aber auch Gefühlskultur oder Einstellungen zu sozialen Fragen (Philippe Ariès/Georges Duby). 
- 
              Geistes- oder denkgeschichtlich war Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923–29/1994) maßgeblich, wenn dort anthropologische Fragen weniger im gesellschaftlichen Fundament, sondern mehr auf die Ebene der Wahrnehmungsformen untersucht, also nicht soziologisch, sondern als Denkformen analysiert werden (Ideen, Bilder, Mythen, Religionen, Philosophie, Sprachen und allgemein zeichenhaft vermittelte Erkenntnisinhalte der unterschiedlichen Kulturen). Diese Formen sind im Begriff des Symbols zusammengefasst; sie prägen den Wahrnehmungshorizont des Einzelnen und geben zugleich die Perspektive, die seine Wahrnehmung der Welt bedingt. 
Beide  Fragerichtungen lassen sich in kulturgeschichtlichen Fragestellungen gut  miteinander verbinden. 
            2. Sind  Anthropologie und Medientheorie unvereinbar? 
          Dies allenfalls dann, wenn sich Medientheorie positivistisch begreift als  Erfindungsgeschichte von hardware, die dann allerdings mit Anthropologie wenig  zu tun hätte. Insofern aber die Medien Wahrnehmungs- und Denkformen prägen  können und umgekehrt bestimmte Denkweisen und Kunstformen Medienentwicklungen  begünstigen, sind durchaus Berührungspunkte gegeben. Pfeiffer (1999) hat etwa  gezeigt, wie bestimmte Medienkonstellationen das Denken und die Literatur  geprägt haben, Koschorke (1999) hat mit seinem mediologischen Ansatz die  Verbindung des Schriftmediums und des Denkens herausgearbeitet. Die Anbindung  der Anthropologie an mediale Fragen ist derzeit eine wichtige Perspektive, wie  auch die Arbeit von Aleida Assmann (2005) zeigt. Insbesondere von Frankreich  ausgehend hat die sogenannte Mediologie auf Funktionszusamenhänge von Medien  mit Denkweisen, symbolischen Wirklichkeiten und institutionellen Kontexten bzw.  Praktiken hingewiesen (soziale und technische Milieus). ‚Medien’ umfassen dann  Subjekte bzw. Mediateure und Objekte (Techniken), weiterhin die dafür nötige  materielle Organisation (Körperschaften, Parteien, Kirche) und die Medien im  materialen Sinn (Geräte). 

